Stammesabend
Es ist der Jahreshöhepunkt bei den Pfadfinder’innen:
Zieht der Abend mit seiner Dämmerung über den Zeltplatz, dann scheint an diesem vorletzten Lagerabend auf alle Pfadfinder eine spannungsvolle Atmosphäre zu wirken.
Wer still lauscht, hört vereinzelt Klänge der Gitarren, sieht, wie ein großer Kessel aufgesetzt wird und wie Fackeln vorbereitet werden.
Achtet man auf die Pfadfinder, die über den Platz laufen, sind einige in stummer Konzentration gefangen. Der ausgelassenen Stimmung aller Abende am Lagerfeuer gelingt es heute nicht, die Sorgen im Rauch verwehen zu lassen und das mulmige Gefühl aus dem Magen zu vertreiben.
Und dann, rechtzeitig bevor der Tag seine Wärme verliert und die kühle Nacht einzieht, ist es soweit:
Am Eingangstor des Lagers sammeln sich alle zum Auszug. Mit jeder Sippe stellen sich Pfadfinder in der immer länger werdenden Schlange an, noch dunkle Laternen in ihren Händen. Die wenigsten wissen schon, an welchen Ort sie der abendliche Gang führen wird – und wissen sie es, so schweigen sie darüber. Dann setzen sich alle in Bewegung, wie für Pfadfinder*innen gewohnt ausgelassen, aber gedämpfter Lautstärke.
Bis sie das nächste Mal zum Halt kommen, soll eine Weile vergehen. Der Weg bis dahin erfolgt leichten Fußes, aber als sie nun pausieren, beginnt der ernste Teil: Ab hier, für die letzte Strecke und die Zeremonie herrscht eindrückliches Schweigen. Mit den entzündeten Laternen verschwindet die Prozession nach und nach im Dickicht des Waldes.
Eine halbe, nur vom Trampeln der Stiefel begleiteten Meile später stoßen sie auf den Platz: mehrere Fackeln sind im Rund entzündet, zwischen den Bäumen sieht man den Hang hinunter ins Land und links vom Eingang, an dem die Spitze des Trupps wartet, steht die Ruine der Burg.
Sippe für Sippe nimmt ihren Platz im Kreis ein, bis der Klang des Lieds zum ersten Mal die Stille unterbricht.
Von überall sind wir gekommen, im Lagergrund steht Zelt an Zelt,
Und habt ihr unser’n Ruf vernommen, so tragt ihn raus in alle Welt:Über uns ein Regenbogen, zeigt uns die Welt in seinem Licht,
Die Wolken sind schon fortgezogen, verwehren uns die Sonne nicht.
Zum Einfinden wird die Geschichte der Jungen von Mafeking verlesen, jener realen Begebenheit vor mehr als 100 Jahren, die zur Gründung der Pfadfinderbewegung unter Robert Baden Powell führte.
Und endlich werden die ersten Namen aufgerufen: Für die Wölflinge und Pfadfinder beginnt die schwerste Stunde des Tages.
Zögerlich treten vier Wölflinge in die Mitte des Kreises.
„Ich verspreche, so gut ich kann, ein guter Wölfling zu sein und nach unseren Gesetzen mit euch zu leben.“
Mit dieser Zeile eröffnen sich die jüngsten Pfadfinder*inenn ihren Weg in den Stamm. Jetzt bekommen sie ihr blaues Halstuch mit dem markanten orangeroten Rand umgebunden und werden von den Akelas mit dem Wölflingsgruß aufgenommen.
Auf ihr Halstuch haben sie zum Teil länger als ein Jahr gewartet, mehr noch: darauf hin gearbeitet, aktiv teilgenommen und ihre Verbundenheit zur Pfadfinderbewegung gezeigt.
Ihr Versprechen legen die Pfadfinder gegenüber sich selbst, gegenüber Gott, ihrem hier versammelten Stamm und ihrer weltweiten Bruderschaft der Pfadfinder*innen ab.
„Bei meiner Ehre
verspreche ich, Gott und meinem Land treu zu dienen,
anderen Menschen jederzeit zu helfen
und die Pfadfindergesetze zu befolgen“
Immer zu zweit werden alle Jungpfadfinder*innen und Pfadfinder*innen aufgenommen. Sie haben den Weg als Wölfling hinter sich oder sind neu in den Stamm gekommen, aber heute haben sie es alle gemeinsam, das frische Halstuch auf ihrer Kluft zu tragen.
Und abends in der Lagerrunde erzählen wir von dir und mir,
scheint auch kein Licht in dieser Stunde, am nächsten Morgen wissen wir:Sind wir einmal fortgezogen, dahin wo es uns gefällt,
bringt auch unser Regenbogen neue Farben in die Welt